John Williams: Into The Badlands — A Journey Through The American Dream

Eine Reise durch den amerikanischen Alptraum

nachtbibliothekar
krimiblog.com
6 min readApr 22, 2016

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John Williams: Into the Badlands : A Journey Through the American Dream

Literarische Reiseberichte sind ein aussterbendes Genre. Obwohl — oder vielleicht auch gerade weil — immer Menschen rund um den Erdball reisen, finden sich gut erzählte Berichte über Leute, Leben und Landschaften in fremden Ländern in Buchform immer seltener. Nicht nur deshalb stellt der 1991 erschienene Reisebericht »Into the Badlands - A Journey Through the American Dream« des britischen Journalisten und Autors John Williams eine interessante Ausnahme dar. Auch die Verknüpfung von Reisebeschreibung und Interviews mit Kriminalautoren findet sich in der Literatur eher selten.

Frühjahr 1989: John Williams brach auf, um die USA zu bereisen und dort in zehn Orten und Regionen Kriminalautoren zu interviewen. Innerhalb von zwei Monaten traf er so unterschiedliche Schriftsteller wie Carl Hiaasen (Miami), Sara Paretsky (Chicago) oder Andrew Vachss (New York), führte Gespräche mit ihnen und bettete diese Begegnungen in ausführliche Beschreibungen seiner Eindrücke von Land und Leuten. Gut zwei Jahre nach seiner Reise erschien sein Buch »Into the Badlands«, dessen Titel durchaus mehrdeutig zu verstehen ist. So beschreibt “Badlands” eine verwitterte Landschaft, wie etwa die Landschaft des Badlands Nationalpark in South Dakota, er bezieht sich aber auch auf den Film »Badlands — Zerschossene Träume«, eine Mischung aus Western, Krimi und Roadmovie, in dem Regisseur Terrence Malick die Flucht und Gewaltexzesse eines jugendlichen Liebespaars schildert. Williams Reisebericht entwickelte sich — zumindest in der englischsprachigen Krimiszene — zu einem Klassiker der Literatur über Krimiautoren. Ein Grund dafür ist seine unvoreingenommene Betrachtungsweise der US-amerikanischen Kultur, der er eine Lebendigkeit attestiert, wie er sie in den — nach seiner Auffassung weitgehend toten-Kulturen des europäischen Kontinents kaum noch findet. Williams setzt dem oftmals arroganten, europäischen Blick auf die Populärkultur made in USA einen differenzierten Einblick in die Entstehung von Musik, Film und vor allem Kriminalliteratur entgegen.

Seine Herangehensweise ist dabei einfach und logisch: Er bettet die Autoren, die er interviewt, immer in ihren geographischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontext ein, ohne dabei Literaturkritik zu betreiben. Williams beschreibt, wertet aber kaum. Seine recht persönlichen Ortsbeschreibungen sind zudem nicht Selbstzweck, sie korrespondieren mit den Texten der Autoren, die Auskunft über sich geben. So wird Williams zum Beispiel von dem hierzulande wenig bekannten Autor James W. Hall, von dem immerhin sechs Romane in deutscher Übersetzung erschienen sind, zu einer Bootstour auf den Miami River eingeladen, ein Fluss, der sich vom Marschgebiet der Everglades bis zur Stadt Miami erstreckt und eine Hauptroute des Drogenhandels ist. Zufällig werden Williams und Hall Zeugen einer wilden Verfolgungsjagd per Boot zwischen südamerikanischen Drogenhändlern und der DEA, der amerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde. Das Miami aufgrund seiner geographischen Lage und seiner Bevölkerungsstruktur ein Einfallstor und Umschlagplatz für Drogen aus Mittel- und Südamerika ist, spielt dabei nicht nur in den Romanen von Hall eine Rolle, auch in den Werken von Carl Hiaasen oder dem damals gerade verstorbenen Charles Willeford findet sich das Thema Drogenkriminalität. Kriminalliteratur hat, das wird bei Williams einmal mehr deutlich, auch immer einen Bezug zu den realen Orten, in denen sie spielt, und zu den Menschen, denen sie widerfährt oder die sie ausüben.

Kriegstrauma

Dieser Ansatz durchzieht das gesamte Buch und so finden sich immer wieder lokale, gesellschaftliche oder soziologische Grundlagen für Kriminalität, die Autoren in ihren Romanen bearbeiteten. Sei es der Rassismus im südlichen Louisiana, der Region, in der die Romane von James Lee Burke angesiedelt sind, sei es die Ausbeutung der Indianer beim Uranabbau in New Mexiko, die Tony Hillerman in seinen Romanen um die Navajo-Polizisten Leaphorn und Chee thematisiert, sei es das Ghetto der schwarzen Mittelschicht in Los Angeles, das einer der wenigen erfolgreichen schwarzen Krimiautoren Gar Anthony Harwood hierzulande ebenfalls kaum bekannt — beschreibt. Immer wieder tauchen Themen auf, die sich durch die US-amerikanische Kriminalliteratur der damaligen Zeit ziehen: Rassimus, Drogen oder Bandenkriege, wie es sie etwa in den Ghettos der Autobauerstadt Detroit zu finden sind, und wie sie Eugene Izzi, damals eine aufsteigender Stern der Krimiszene, beschrieben hat. Gerade am Beispiel von Izzi zeigt sich der zeitliche Bezug von John Williams Buch, denn Izzi starb 1996 unter mysteriösen Umständen. Auch in Detroit wird Williams Zeuge der Folgen einer brutalen Auseinandersetzung zwischen zwei schwarzen Gangs, bei der ein junger Mann ums Leben kommt. Zu dieser Zeit leider Alltag in einigen Großstädten der USA.

Doch neben der alltäglichen Gewalt, die sich in den Büchern der jeweiligen Autoren wiederfindet, schwebt unausgesprochen ein verdrängtes Trauma über der Kriminalliteratur dieser Zeit: der Vietnamkrieg. Zwar lag das Kriegsende im Jahre 1989 über eine Dekade zurück, dennoch sind die ernstzunehmenden Kriminalautoren dieser Zeit geprägt von dieser Zeit und vor allem von den damaligen Gewaltexzessen. Was bei Williams hingegen fast gänzlich fehlt, sind jene Monster, die seit den 1990er Jahren breiten Raum in der Kriminalliteratur einnahmen: Die Serienkiller — Thomas Harris stand mit seinen Lecter-Romanen gerade am Anfang und wird von Williams nur kurz erwähnt — und die Knochenleser.

Man kann natürlich zu Recht fragen, ob die Lektüre eines so “alten” Buches heute noch lohnt. Die Antwort ein eindeutiges “Ja”. »Into the Badlands« bringt den europäischen Lesern zahlreiche Autoren näher, die damals in den USA entweder schon prägend waren oder es in den darauf folgenden Jahren wurden. John Williams spricht mit Autoren, die entweder erste Erfolge aufweisen konnten oder die nach seiner Einschätzung heiße Underground-Tipps waren. Leider sind nicht alle Autoren, die er vorstellt, auch bei uns in Europa bekannter geworden. James Ellroy, Sara Paretsky oder Tony Hillerman dürften da noch die erfolgreichsten sein. Andere wiederum blieben, obwohl in den USA geschätzt und ganz oder zumindest teilweise ins Deutsche übersetzt, Geheimtipps: Elmore Leonard etwa, der im Gespräch mit Williams ironische Einblick in die Arbeit der Traumfabrik Hollywood gibt, Joe Gores, der Ex-Detektiv, den vermutlich noch weniger kennen würden, hätte es nicht die Verfilmung von »Hammett« durch Wim Wenders gegeben oder James Crumley, dem man ebenfalls viel mehr Leser wünschte.

Regionalkrimi auf amerikanisch?

Aber es gibt noch einen anderen Grund, weshalb sich die Lektüre von »Into the Badlands« und der liegt in der deutschen Kriminalliteratur. Ende der 1980er Jahre kam hierzulande jener unheilvolle Trend namens “Regionalkrimi“ auf. Ein weitgehend dümmliches Etikett, unter dem Albernes und Hochkarätiges auf eine Ebene gestellt wurden. Der Ansatz, regionale Bezüge in den Vordergrund zu stellen hatte bei den meisten furchtbaren Machwerken dieses Subgenres den fatalen Effekt, die wenigen guten Bücher unter sich zu begraben. Der Grund dafür ist einfach: Der regionale Bezug hat nichts mit der beschriebenen Kriminalität zu tun und ist an sich kein literarisches Qualitätsmerkmal. »Into the Badlands« hingegen verdeutlicht, wie sinnvoll eine regionale Zuordnung von Kriminalliteratur seien kann, wenn sie denn lokale und reale Gegebenheiten aufnimmt und nicht künstlich durch platte Etikettierung erzeugt wird. Vor allem, wenn sie entsprechend von den Autoren literarisch bearbeitet wird. Angesichts der Größe und der Unterschiedlichkeit der USA verwundert es dann auch nicht, dass man hier tatsächlich regionale Differenzierungen finden kann, die originär mit der Bevölkerung oder der geographischen Lage zu tun haben und die einfließen in den literarischen Prozess. Diese Erkenntnis haben viele deutsche Autoren weitgehend verschlafen.

2007 legte John Williams übrigens nach und es erschien der Nachfolgeband »Back to the Badlands«, in dem ausgewählte Teile aus dem ersten Buch sowie neuere Interviews und Reiseimpressionen aus dem Jahre 2005 abgedruckt wurden. Der Nachfolgeband soll Gegenstand einer späteren Besprechung sein.

Von folgenden Autoren finden sich Interviews in »Into the Badlands«:

Was Sie noch wissen sollten

Die bibliographischen Angaben zum Buch:

John Williams: Into the Badlands : A Journey Through the American Dream. — London : Paladin Grafton Books, 1991
ISBN 0–586–09075–4

Das Buch ist nur noch antiquarisch erhältlich.
Eine deutsche Übersetzung ist mir nicht bekannt.
Auszüge wurden von John Williams im Nachfolgeband »Back to the Badlands« publiziert, die dort fehlenden Artikel finden sich auf der Internetseite www.backtothebadlands.com.

Aus dem Archiv: Diese Besprechung wurde erstmals am 26. Mai 2008 auf krimiblog.de veröffentlicht. Für die Veröffentlichung auf krimiblog.com wurden einige Tippfehler korrigiert sowie einige Links aktualisiert.

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